Eine Rezension zu einem Pappbilderbuch zu schreiben ist für mich jedes Mal eine Herausforderung. Als Erwachsene erscheinen mir diese Baby-Bücher banal. Dass dem nicht so ist, habe ich mit Helmut Spanner gelernt. Seine Pappbilderbücher haben meinen Blick geschärft und mir gezeigt, wie Babys über Bücher die Welt entdecken.
Mein Aha-Moment war eine kleine Zeichnung aus dem großen Bildwörterbuch von Helmut Spanner Erste Bilder, Erste Wörter. Diese Bildfolge zeigte eine Banane, einmal mit Schale, einmal halb geöffnet und damit so, wie sie das Kind hingehalten bekommt. Banal, oder? Nein, ganz und gar nicht! Beides heißt Banane. Und das klein geschnittene in der Schüssel, mit dem man so schön rummatschen kann, ist auch erst eine Banane, bis es dann zu Bananenbrei wird. Dass etwas, das in so unterschiedlichen Zuständen erscheinen kann, immer Banane heißt – das muss man erst mal verstehen!
Genauso muss man verstehen, dass nicht alle gelben Dinge essbar sind. Außerdem muss man lernen, zwischen den zweidimensionalen Dingen im Buch und denn dreidimensionalen Dingen da draußen einen Zusammenhang herzustellen. Es gibt also viel zu tun für ein kleines Kind und ein Pappbilderbuch von Helmut Spanner ist dabei ein guter Begleiter.
Nach meinem Aha-Erlebnis mit seinem Bildwörterbuch konnte ich auch seine anderen Pappbilderbücher mit anderen Augen anschauen. Einige dieser Bücher wurden jetzt beim Verlag Oberstebrink neu aufgelegt, darunter Minimaus entdeckt das Bad.
Minimaus entdeckt das Bad aus Baby-Sicht
Zahnpasta, Spiegel, Seife, Waschlappen, aber auch der Abfluss, durch den das Wasser verschwindet – solche Alltagsdinge werden in dem Pappbilderbuch gezeigt. Die Zeichnungen wirken ungemein plastisch, so dass ich sogar als Erwachsene Lust bekomme, zuzugreifen. Kräftige Farben, klare Kontraste, deutlich herausgearbeitete Oberflächenstrukturen machen das möglich.
Auch die Figur der Minimaus ist mehr als einfach nur klein und niedlich. Durch sie kommt Bewegung ins Buch. Ihr Schwanz ragt in den Zahnputzbecher, so wie die Hand des Kindes in den Becher greifen kann. Sie springt auf die Zahnpastatube und schon quillt vorne Zahnpasta heraus. Sie bewegt sich auf der Haarbürste hin und her und genießt das kitzelige Gefühl. Minimaus macht also all das, was das Baby auch macht: Sie entdeckt, probiert, tastet und sorgt damit für eine begreifbare Welt.
Nachdem ich einmal verstanden hatte, was für ein wichtiger Schritt ein Pappbilderbuch auf dem Weg zum Verstehen der Welt ist, habe ich innerlich immer geseufzt, wenn Eltern in der Buchhandlung unbedingt ein Pappbilderbuch mit Cars oder Winnie Puh haben wollte. Diese Bücher bringen all das, was die Bilderbücher von Helmut Spanner auszeichnet, meist nicht mit, denn ihre Zeichnungen sind viel zu sehr auf das Auge des Erwachsenen ausgerichtet. Auch das 10. Buch mit Baggern ist zwar gut für die Ladenkasse, aber nicht unbedingt für das Kind, denn es fördert das Verstehen der Welt nicht mehr.
Um so mehr freue ich mich, dass der Verlag Oberstebrink nun einige der Bilderbuch-Klassiker von Helmut Spanner neu aufgelegt hat!
Angaben zum Pappbilderbuch:
Helmut Spanner
Verlag Oberstebrink
ISBN: 9783963040047
Kennt Ihr auch den Bilderbuch-Klassiker Ich bin die kleine Katze von Helmut Spanner? Auch in dem Buch kann man schön erkennen, wie der Zeichner im wahrsten Sinne des Wortes die Perspektive eines Kleinkinds annimmt. Mehr über seine Arbeit und seine Herangehensweise erfahrt Ihr hier im Interview auf Literaturgarage: Ich bin in einer Pfütze tätig und um mich herum lauter Kinder. Zum 40jährigen Jubiläum – ein Interview mit Helmut Spanner
Pingback:10. Buchkönig: Minimaus entdeckt die Küche - Geschichtenwolke
Richtig, sage aber nichts über Bagger. K3 liebt trotz großer Buchauswahl alle Bagger- und Autobücher, von sich aus. Es ist doch genetisch bedingt. 🙂
Das Gesetz der Serie – warum Kinder so gerne immer zum gleichen Thema (Autos, Bagger, Dinos) oder der immer gleichen Serie wie die Drei Fragezeichen greifen. Könnte ich auch mal darüber bloggen. Aber Tatsache ist: viele Kinder greifen lieber zu etwas, was sie schon ein bisschen kennen.