Pinguin Flim kommt in den Kindergarten. Er freut sich auf diesen Tag, ist aufgeregt und ein wenig nervös. Doch alles läuft gut: er findet sofort Anschluss und probiert mit Freude und Entdeckergeist die vielen neuen Spielmöglichkeiten aus. Aber eines Tages beginnt er zu merken, wie sehr ihm seine Mama fehlt. Zuerst gelingt es seiner Erzieherin, ihn zu trösten und abzulenken. Doch dann wird die Verlustangst größer. Was tun?
Was mir an Flim Pinguin besonders gut gefällt, ist, dass nicht nur alle Gefühle des Kindes ernst genommen werden, sondern dass es auch als völlig normal betrachtet wird, dass Gefühle sich ändern. Von der Begeisterung für den Kindergarten hin zur großen Verlustangst in nur wenigen Tagen oder Wochen – im Leben mit Kindern ein völlig normales Phänomen. Flims Emotionen sind groß und tief. Aber sie sind kein Drama. Alles ist lösbar.
Sandra Seiffart begleitet mit ihren Illustrationen die Reise durch die Gefühlswelt des Pinguins. Heitere Bilder überwiegen natürlich – wie könnte es auch anders sein bei watschelnden Pinguinen! Aber in ihren Zeichnungen findet jede Emotion ihren Platz. Dadurch, dass dieser Pinguin-Kindergarten sich draußen, in einer leeren Schneewelt befindet, gibt es viel Raum für die Interaktion zwischen den Pinguinen. Es genügen ihr nur wenige Gegenstände um klar zu machen, in welchem Kontext wir uns gerade befinden. So wirken die Zeichnungen angenehm aufgeräumt und lassen viel Platz für das Wichtige, nämlich die Emotionen.
Das erste bedürfnisorientierte Buch für Kindergartenneulinge?
Ich lese ja gerne bei Bloggern mit, die über Themen berichten, die so gar nichts mit meiner Lebenswelt zu tun haben. Für mich ist das eine Möglichkeit, meinen eigenen Horizont zu erweitern. Der Begriff „bedürfnisorientierte Erziehung“ begegnete mir auf den Mama-Blogs schon häufiger. Er erscheint mir selbsterklärend. Aber eine Definition wüsste ich auf Anhieb nicht.
Über Flim Pinguin im Kindergarten schreibt der Verlag:
„Die Neuerscheinung ist das erste bedürfnisorientierte und ökologisch produzierte Buch zum Thema Gelungene Eingewöhnung für Kindergartenneulinge.“
Jetzt will ich es doch genauer wissen, was dieser Begriff genau bedeutet. Guter Anlass, direkt bei der Autorin Sandra Schindler nachzufragen, was es mit diesem „bedürfnisorientiert“ auf sich hat.
Liebe Sandra, bedürfnisorientiert – könntest Du mir das mal übersetzen?
Ich glaube, es ist leichter zu sagen, was „bedürfnisorientiert“ nicht ist, also fangen wir doch erst mal damit an: Bedürfnisorientiert heißt nämlich nicht, lauter kleine Prinzessinnen respektive künftige Despoten heranzuziehen und sie durch übermäßige Verhätschelung und mangelndes Durchsetzungsvermögen seitens der Eltern vollkommen zu verziehen.
Nein, es heißt vielmehr, den Kindern auf Augenhöhe zu begegnen und sie als gleichwertig zu respektieren, anstatt auf sie herabzusehen. Adultismus ist in dem Kontext momentan in aller Munde. Adultismus heißt, Menschen aufgrund ihres Alters zu diskriminieren, also sehr junge oder sehr alte Menschen noch nicht bzw. nicht mehr für voll zu nehmen. Die bedürfnisorientierte Erziehung arbeitet dagegen, weil sie den respektvollen Umgang mit allen Lebewesen fördert.
Das heißt übrigens nicht, dass das Kind immer alles darf, was es möchte, aber es heißt, dass die Belange des Kindes ernst genommen werden. Kommt es zu einem Konflikt, weil das Kind ein ganz anderes Bedürfnis hat als die Eltern, dann wird so lange kommuniziert, bis sich eine Lösung findet, mit der alle leben können. Gefahrensituationen natürlich ausgenommen. Wenn mein Kind auf die Hauptverkehrsstraße läuft, weil es auf der anderen Seite eine Eisdiele sieht, greife ich ein, ganz klar.
Wie gut klappt denn die bedürfnisorientierte Erziehung im Alltag?
Natürlich muss man dazusagen: Es klappt nicht immer. Wir sind eben Menschen mit all unseren Fehlern und Emotionen. Es passiert, dass man sich mal nicht bedürfnisorientiert verhalten kann. Solange danach ein Gespräch mit einer entsprechenden Entschuldigung stattfindet, ist das in Ordnung.
Bedürfnisorientiert heißt übrigens auch nicht, Konflikten aus dem Weg zu gehen, sondern sie achtsam auszutragen. Mehr dazu findest du übrigens bei Andrea von Herzensglückskind.
Es geht für mich immer um Gleichwertigkeit, Respekt und Achtsamkeit: Würde ich zu meiner besten Freundin sagen: „Wenn du jetzt nicht deinen Teller aufisst, dann lade ich dich nie wieder ein!“? Oder würde ich zu meinem Partner sagen: „Wenn du jetzt nicht sofort deine Schuhe ins Regal räumst, dann schläfst du heute woanders.“? Wenn ich etwas zu einem Erwachsenen auf eine bestimmte Weise nicht sagen würde, dann ist das für mich ein sicheres Zeichen dafür, dass ich eine Lernaufgabe vor mir habe, die mir abverlangt, mein Verhalten zu überdenken.
Wer seine Kinder auf diese Weise erzieht, merkt auch häufig zwangsweise irgendwann, wie viel Energie er verschwendet, indem er versucht, irgendwelche völlig sinnlosen Dinge durchzusetzen. Klar, es gibt Dinge, die sind mir einfach wichtig, dann ist es mir ein Bedürfnis, dass alle darauf Rücksicht nehmen. Zum Beispiel, dass nicht mit Straßenschuhen durch die frisch geputzte Wohnung gestiefelt wird. Dafür habe ich dann aber auch einen guten Grund.
Meine Erfahrung ist: Wenn die Kinder die Gründe für eine Regel verstehen, haben sie auch kein Problem damit, sich daran zu halten.
Aber vieles ist einfach völlig unnötig – und unsere Kinder spiegeln uns das perfekt. Natürlich kann ich gefühlte Stunden darauf pochen, dass das Kind seine Legosteine nach dem Bauen wieder in die Kiste räumt. Und wenn es das nicht tut, darf es dies und das und jenes nicht. Aber was habe ich davon? Ein frustriertes Kind und frustrierte Eltern, die sich gegenseitig immer weiter in ihre Wut hineinsteigern. Ich kann mir auch einfach eingestehen: Es ist nicht wichtig, dass das Kind nun selber alle Legosteine wegräumt. Vielleicht fange ich dann einfach mal selbst mit dem Einräumen an und schaue, was passiert.
Zu Adultismus und der Gleichwertigkeit aller Menschen kannst du dir, wenn du magst, mal das Video hier mit André Stern anschauen. Ich habe einen ganz ähnlichen Vortrag von ihm gehört und war mehr als beeindruckt.
Du hattest mich ja schon bei Deinem ersten Buch „Der kleine Milchvampir“ gefragt, ob ich Lust hätte, es zu lesen. Damals habe ich abgelehnt, weil ich das Thema Langzeit-Stillen mangels Erfahrung nicht beurteilen kann. Wir kamen ins Gespräch und es entstand ein Interview auf meinem Blog.
Genau. Ebenso wie ein Interview mit Dir auf meinem Blog zum Buchkönig-Kinderbuchpreis. Eine klassische Win-win-Situation. 🙂
Nun ist dein zweites Kinderbuch erschienen. Ein kleiner Pinguin geht zum ersten Mal in den Kindergarten – bei dem Thema dachte ich, dass ich mit meinen Kenntnissen auf der sicheren Seite bin. War ich ja auch – aber das Buch hat einen besonderen Dreh. Was ist das Besondere an „Flim Pinguin kommt in den Kindergarten“?
Das Besondere ist, dass ich nicht den Alltag im Kindergarten schildere, wie es viele andere Bücher tun, sondern ich beschäftige mich mit den Ängsten der Kindergartenneulinge. Die meisten Kinder freuen sich auf den Kindergarten, aber nicht wenige tun das nur so lange, bis sie erkannt haben, dass sie ohne die Eltern dort bleiben müssen. Da kann der Kindergarten noch so tolle Sachen anbieten, wenn die Trennungsangst zu groß wird, hilft das alles nichts. Da müssen die Eltern und Erzieherinnen ran und dem Kind die Angst nehmen. „Flim Pinguin im Kindergarten“ soll sie dabei unterstützen, und zwar auf Augenhöhe, mit Respekt für ihre Sorgen, Wünsche und Ängste. Bedürfnisorientiert eben.
Bedürfnisorientiert ist dein Buch ja auch in anderer Hinsicht: auch die Bedürfnisse der Eltern werden ernst genommen.
Ja. Es geht im Leben ja meist um die Bewältigung von Ängsten. Die Ängste der Eltern bei der Eingewöhnung sind anders geartet als die der Kinder. Klar vermissen sie ihren Nachwuchs, aber im Gegensatz zum Kind sind sie sich sicher, dass sie die Kleinen wiedersehen werden.
Bei den Eltern geht es eher um Fragen wie: Ist es überhaupt die richtige Entscheidung, das Kind jetzt schon in den Kindergarten zu geben? Ist dieser Kindergarten der richtige? Was passiert, wenn sich das Kind verletzt und ich bin nicht da, um es zu trösten? Was mache ich, wenn mein Kind von anderen unterdrückt wird?
Die Gedanken drehen sich immer und immer wieder um das, was dem Kind geschehen könnte, weil wir uns ja noch sehr gut daran erinnern können, wie es sich anfühlt, ein Kindergartenkind zu sein. Und so manche Erfahrung von damals würden wir unserem Kind gerne ersparen. Aber unser Nachwuchs kann seine ganz eigenen Erfahrungen sammeln – und muss das auch. Und das fällt ihm wesentlich leichter, wenn das Mamaherz das Kind freilässt, das Kind in Liebe loslässt und ihm die eigenen Erfahrungen zugesteht.
Ich habe mich viel mit meinen eigenen Ängsten und Sorgen bezüglich der Kindergarteneingewöhnung auseinandergesetzt und mich mit vielen Eltern über das Thema ausgetauscht. Es gibt erstaunlich viele Übereinstimmungen, was die beunruhigenden Gedanken angeht, die sich Eltern machen. Deshalb habe ich mich entschlossen, einen Brief an die Eltern mit ins Buch einzufügen, um auch ihnen zu vermitteln: Ich verstehe, was in euch vorgeht. Aber ich bin mir sicher: Alles, was ihr durchlebt, ist normal und in Ordnung – und alles wird gut.
Jetzt bin ich gespannt, mit was Du mich als nächstes überraschst! Planst Du schon ein neues Kinderbuch?
Ach, ich plane so vieles, aber das Leben wirft so manche Planung über den Haufen. Klar habe ich vor, in diesem Jahr so einige neue Bücher zu schreiben – und ich hoffe sehr, dass ich auch den einen oder anderen Verleger für eins meiner bereits vorhandenen Bücher begeistern kann, damit auch die Leser bald wieder etwas Neues von mir in der Hand halten können. Aber was das genau sein wird, das könnte ich allenfalls mutmaßen, von daher: Lassen wir uns einfach überraschen. Ich halte dich sehr gerne auf dem Laufenden!
Prima – ich freue mich auf Deine nächsten Projekte! Wer auch nichts verpassen will, findet hier auf der Webseite von Sandra Schindler Infos zu den aktuellen Projekten, den Blog und einen Newsletter.
Infos zum Bilderbuch:
Sandra Schindler – Text
Sandra Seiffart – Illustrationen
Flim Pinguin im Kindergarten
ISBN 978-3-946625-04-9
Auch im Buchhandel erhältlich – zum Beispiel hier im Online-Shop von Schmitz Junior