Die Weihnachtsgeschichte, die mit einem Fragezeichen endet

weihnachtsgeschichte-mit-fragezeichenDie meisten Bilderbücher, die die Weihnachtsgeschichte erzählen, enden spätestens mit der Ankunft der Heiligen Drei Könige. Dieses Bilderbuch, das nicht nur im Titel mit einem Fragezeichen endet, erzählt nicht nur die Geschichte weiter, es fordert auch auf, sie weiter zu denken.

Maria, Josef und das Jesuskind sind auf der Flucht, denn König Herodes will das Kind töten.

Was wäre, wenn sie auf eine Situation treffen würden, wie sie Flüchtlinge heute erleben? Was wäre, wenn sie an der Grenze nicht weiter kämen, nicht in das Land gelassen werden? Wenn eine aufgebrachte, fremdenfeindliche Menschenmenge ihren Weg blockiert?

Wenn ein Bilderbuch mit einem solchen Paukenschlag endet, dann muss das letzte Bild sitzen. Genau das ist meiner Meinung nach in Die Weihnachtsgeschichte? nicht der Fall.

Am Ende des Buches kommt die Heilige Familie nicht weiter, weil eine aufgebrachte Menschenmenge, die offensichtlich keine Flüchtlinge in das Land lassen will, den Weg blockiert. Doch stellt dieses Bild wirklich einen Bezug zur heutigen Zeit her? Ich meine nein, denn die Symbol-Bilder, die sich durch Nachrichten und Fotos in das kollektive Gedächtnis gegraben haben, sind andere. Der hohe Stacheldrahtzaun oder das Schlauchboot – das sind die aktuellen Bilder.

Die aufgebrachte Menschenmenge, die als lebende Grenzbefestigung wirkt, erfordert einen Transfer. Eine solche Menschenmenge ist für Kinder etwas Abstraktes. Ein Schlauchboot oder ein Zaun ist be-greifbar. Wenn ein Buch mit einer Aufforderung zu einem Transfer endet, dann kann der Leser auch an dieser Stelle aus der Geschichte aussteigen und das Weiterdenken verweigern.

Mit einem Symbolbild, das fest im kollektiven Gedächtnis verankert ist, wäre das nicht so einfach.

Am Ende geht die Heilige Familie durch die dunkle und kalte Nacht in ihr Land zurück. Den Begriff „ihr Land“ finde ich doppelt schlecht gewählt. Ein Land, in dem Kinder getötet werden, kann nicht mehr „ihr Land“ sein. Zudem ist der Begriff zu nah an der Sprache der Populisten, die Flüchtlinge heimschicken wollen und dabei ignorieren, das es dieses „Heim“ nicht mehr gibt.

So hat für mich dieses gut gemeinte und hervorragend illustrierte Bilderbuch den faden Beigeschmack einer vertanen Chance.

Wie seht ihr das?

Angaben zum Bilderbuch:

Autoren: Timm Weber, Tobias Holland, Andreas Brunsch
Illustratoren: Daniel Ernle, Christina Ernle, Corinna Becher

Die Weihnachtsgeschichte?

Baumhaus Verlag

ISBN: 978-3-8339-0430-1

Mehr zum Thema Bilderbücher gegen Rassismus und für Toleranz hier auf meinem Blog.

5 Kommentare

  1. Ja, das Buch kommt entweder in Familien, die sowieso schon humanitäre Werte pflegen. Da sehe ich auch kein Problem mit dem (vor)letzten Bild. Oder es wird in Kindergärten und Schulen eingesetzt. Dort erreicht es auch Kinder, die zuhause Hetzreden gegen Fremde erleben.
    Da glaube ich, dass das Buch mit einem anderen Schlussbild sich viel besser im Bewusstsein der Kinder verankern würde.
    Ich finde auch, dass die gezeigte Menschenmenge dafür sorgt, dass sich der Leser klein fühlt. Was soll ein einzelner denn da ausrichten?

    Das Buch ist an sich nicht schlecht, aber es hätte noch so viel mehr sein können. Zu kurz gesprungen – schade!

  2. Ich kenne das Buch nicht, daher würde mich nun vor allem die Illustration von der Seite mit der Menschenmenge interessieren, die dich gestört hat. Es ist natürlich auch immer zu prüfen, mit welchem Blick (und Hintergrundwissen) wir auf solch ein Buch schauen und wie Kinder es möglicherweise tun.
    Unabhängig davon bin ich bei derartigen Büchern geteilter Meinung. Einerseits ist es eine Möglichkeit, die Folgen von menschenverachtendem Denken und Handeln aufzuzeigen und auf diesem Wege dagegen anzugehen. Andererseits erreicht dieses Buch leider nicht die Personen, die es erreichen sollte und überträgt im ungünstigsten Fälle die Schuld auf Kinder, die dafür nichts können. Da sie aber auch Leitbilder für ihr eigenes Erwachsenendasein brauchen, beißt sich an der Stelle die Katze in den Schwanz. ?
    Viele Grüße,
    Anna

    • Eine Möglichkeit wäre es, solche Bücher im Kindergarten oder in der Schule einzusetzen um eben wirklich alle zu erreichen.

    • Liebe Anna, da, sprichst Du noch einen Punkt an, an den ich noch nicht gedacht. Manche Kinder haben das unglückselige Talent, sich für das, was in der Welt der Erwachsenen schief läuft, schuldig zu fühlen. Da tut ein Buch, dass erst mal so gar keine Möglichkeit aufzeigt, was man zur Verbesserung der Situation tun könnte, nicht gut.
      Eine Lösung kann bei diesem Bilderbuch nur im Gespräch mit Erwachsenen entstehen.

  3. Das mit „ihr Land“ kann ich nachvollziehen und dem kann ich auch so zustimmen, ist mir beim Lesen aber nicht so aufgefallen.
    Meines Erachtens fällt der Transfer nicht so schwer, vor allem da Kinder bei einem solchen Buch sowieso Begleitung brauchen. Außerdem erinnert mich dieses Bild an aktuelle Bilder wie man sie von Pegida etc. kennt.
    Sehr eindrucksvoll finde ich aber auch das allerletzte Bild in der Dunkelheit.

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